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AutorenbildManuel Klinnert

Führen nach Schema F: der Führungsprozess (Teil 1)

Aktualisiert: 1. März 2020


Nachdem sich bei den ersten Blog-Artikeln die Lagedarstellung zum Schwerpunkt entwickelt

hat, möchte ich nun den Grundstein für eine anderes, sehr wesentliches Themenfeld legen:

den Führungsprozess. Wo kommt er her, worauf basiert er, gibt es Unterschiede in den

einzelnen Hilfsorganisationen und zu guter letzt natürlich auch: wie gilt es ihn anzuwenden?

Zunächst möchte ich einmal den Prozess in seiner Gesamtheit darstellen, in den folgenden Beiträgen werde ich dann näher auf die einzelnen Phasen eingehen.


 

Führungskreislauf, Führungsprozess, Regelkreis der Taktik, Problemlösungsprozess, ... Hinter dem, was wir eventuell unter verschiedenen Namen kennen, verbirgt sich im Grunde das selbe Konzept: man nehme den Ablauf verschiedener Arbeitsschritte und ordne sie in einem wiederkehrenden Kreislauf an, um abschließend ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen. Sei es bei der Herstellung von Produkten, bei Dienstleistungen oder beim Führen von Menschen. Ähnliche Modelle kennen wir aus der Wirtschaft, vor allem im Rahmen von Qualitätsmanagementprozessen. Als Beispiele der Plan-Do-Check-Act-Zyklus nach Deming oder der Observe-Orient-Decide-Act-Zyklus nach Boyle.





Natürlich kennen auch die Streitkräfte dieses Konzept und wer die nötigen Einblicke hat, wird sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen unserem Führungsprozess und beispielsweise dem Führungsprozess Landstreitkräfte der Bundeswehr erkennen.

Ich möchte sogar so weit gehen und behaupten, dass ein großer Teil der Grundlagen in unseren "Dienstvorschriften 100" auf Vorlagen aus dem Militär beruhen.

Aber von welchen Grundlagen reden wir hier eigentlich? In meinem Beitrag zum Einsatz von taktischen Zeichen in der Wasserrettung habt Ihr eventuell schon von der Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz und deren Empfehlung für taktische Zeichen gelesen. Dieselbe Institution hat einen Vorschlag für eine Vorschrift erstellt, welcher als Grundlage für alle Dienstvorschriften zum Thema Führung im Einsatz genutzt werden kann. Diese Dienstvorschriften tragen in der Regel die Ziffer 100 und sind inhaltlich sehr ähnlich aufgebaut. Die Basis entspricht meist dem Vorschlag der SKK und wurde um organisationsspezifische Inhalte ergänzt. Betrachtet habe ich dazu folgende Vorschriften im einzelnen:

  • Die FwDV 100: Führung und Leitung im Einsatz

  • Die BRK-DV 100: Führung im Einsatz, Führungssysteme

  • Die DRK-DV 100: Führung und Leitung im Einsatz

  • Die KatS-Dv 100: Führung und Einsatz

  • Die THW DV 1-100: Führung und Einsatz

und natürlich die Vorlage der SKK als Grundlage. Sie kann im Grunde als kleinster gemeinsamer Nenner betrachtet werden. Neben Themen wie den Führungsstilen und Stabsarbeit stellt den wesentlichen Teil dieser Vorschrift das Führungssystem dar. Dieses besteht aus der Führungsorganisation, den Führungsmitteln und dem Führungsvorgang. Und wegen letzterem sind wir nun alle hier: dieser ist nämlich im Grunde der Führungskreislauf, welchen wir in den nächsten Beiträgen genauer unter die Lupe nehmen wollen. Und auch wenn sich die Darstellungen teilweise etwas unterscheiden, die Bestandteile sind bei allen Versionen dieselben, egal bei welcher Organisation man durch die Vorschrift blättert.


Viele sind vielleicht überrascht, dass eben dieser Kreislauf, den sie schon etliche Male auf Führungslehrgängen eingebläut bekommen haben, auf einer Dienstvorschrift fußt. Ich schließe hier von mir auf andere: lange hatte ich die Vorstellung, Vorschriften bestehen aus viel mühsam zu lesendem Text, der alltägliche Prozesse überkompliziert darstellt und meine Handlungsfreiheit einschränkt. Der Führungskreislauf hingegen stammte in meiner Vorstellung aus irgendwelchen Lehrunterlagen und sollte als einleitender Gedanke für die Ausbildungseinheiten dienen, in denen man dann die tatsächliche Arbeit als Führungskraft lernt. Dort übt man dann verschiedenste Szenarios, um im Einsatzfall das richtige Verhalten aus den gemachten Erfahrungen herleitet. Was ich damals noch nicht verstanden habe, möchte ich Euch heute in der Einleitung der Beitragsreihe zum Führungsprozess versuchen zu erklären.


Grundsätzlich sollte der Führungsvorgang funktionieren wie ein Trichter. Jeder kennt die sogenannte "Chaosphase" am Anfang eines Einsatzes. Je größer die Schadenslage, desto größer ist die Menge an Informationen, die in dieser Phase am oberen Ende des Trichters ankommt. Viele Führungskräfte ersetzen genau dann ihren Trichter durch ein Sieb. Natürlich erfolgt dabei genauso eine Reduktion des Inputs, der Output wird jedoch meist zu einer Sauerei. Daher ist einer meiner Lieblingssprüche: "Eine gute Führungskraft löst jedes Problem so, als würde sie es zum ersten Mal sehen." Der ist zwar nicht von mir, ich versuche mich aber stets danach zu richten. Natürlich hilft ein reiches Erfahrungsrepertoire beim Fällen von Entscheidungen im Einsatz. Man sollte sich aber nie ausschließlich darauf berufen. Denn in der Regel gleicht kein Einsatz dem anderen und unerwartete Faktoren beeinflussen meist wesentlich die Lage vor Ort. Um diese Faktoren im erforderlichen Maß zu berücksichtigen, sieht unser Führungsprozess so aus, wie er eben aussieht.

Zunächst begegnen wir einer Lage und einem daraus resultierenden Auftrag. Bei der Lagefeststellung schmeißen wir dann erst einmal all die eingangs angesprochenen Faktoren in einen Pool und sortieren sie grob. Ist unser Pool voll genug, stellen wir den Inhalt gegenüber, bewerten ihn und legen uns verschiedene Handlungsmöglichkeiten zurecht, welche wir anschließend abwägen. Schließlich sollte ein Entschluss stehen, den wir zu guter Letzt umsetzen. Das Ganze kontrollieren wir dann und der Kreislauf beginnt erneut. Dazu kommen während jeder Phase Folgerungen, die im weiteren Verlauf des Handelns berücksichtigt werden müssen.


Grundsätzlich ein leicht zu verstehendes Konstrukt. Die Schwierigkeit dabei ist, sich immer strikt daran zu halten und nicht in das alte Muster zu verfallen, die Lage zu sehen und dem ersten Impuls nachzugeben. Dieses Verhalten, das Vermeiden von Impulshandlungen und das Halten an ein strenges Schema, braucht natürlich wesentlich mehr Ausbildung und Übung. Wenn es allerdings einmal verinnerlicht ist, kann es den Ausgang einer jeden Lage positiv beeinflussen und sehr vielen Problemen vorbeugen. Die notwendige Übung ist jedoch nötig, damit das ganze nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Eine geübte Führungskraft schafft es, sich ohne wesentlichen Zeitverlust an alle Schemata zu halten und sein Team strukturiert durch jede Einsatzlage zu lotsen. Unmittelbar mag es zwar an vielen Stellen des Kreislaufes zeitaufwändiger erscheinen, beispielsweise beim Aufstellen und Abwägen der Möglichkeiten oder bei der Befehlsausgabe. Insgesamt kann aber sehr viel Zeit eingespart werden, weil zum Beispiel hintergründige Faktoren mit berücksichtigt wurden, allen das erforderliche Lagebild vermittelt wurde oder Strukturen und Aufgaben klar gegliedert wurden.

Defizite oder gar das Scheitern von Führungskräften werden oft mit einem Mangel an Erfahrung oder Koordinierungsgeschick begründet. In Wahrheit ist es aber meist das Nichteinhalten dieses Schemas, sei es aufgrund mangelnder Ausbildung und Übung oder aus Ignoranz und Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.


Aber bei kleineren Einsätzen und Übungen kann man sich das ganze doch sparen, man will sich ja auch nicht zum Affen machen, oder?


Falsch. Gerade diese Situationen sollte man nutzen, um den Prozess wieder und wieder zu verinnerlichen. Nutzt die Gelegenheit und übt gemeinsam, Euch Schritt für Schritt einer effektiven und kreativen Problemlösung anzunähern:


Erkundung: "in dieser oder jener Lage haben wir folgende Schadenslage, entgegnen können wir folgende eigene Lage, daraus schließen wir die ersten Folgerungen für unser Handeln..."

Planung: "wir haben folgende Möglichkeiten, das sind die Vorteile, das sind die Nachteile, daher wird diese oder jene Möglichkeit zum Entschluss..."

Befehlsgebung: "Team, das ist die Lage, meine Absicht ist folgende, dazu die Einzelaufträge, und so weiter..."

Kontrolle: "Was war unser Auftrag, wurde das Ziel erreicht?"


Ich würde sogar noch weiter gehen, das Technische Hilfswerk ist uns da schon einen Schritt voraus: dort heißt der Führungsvorgang nämlich „Führungs- und Problemlösungsprozeß“ (jaja, die neue Rechtschreibung ist beim THW dafür leider noch nicht angekommen). Worauf ich hinaus will: im Grunde kann jedes Problem mit eben diesem Kreislauf abgearbeitet werden:


Auftrag: meine Ortsgruppe hat mich mit der Ausarbeitung einer Übung betraut.

Lagefeststellung: welche Ziele verfolgt die Übung, welche Probleme begegnen mir dabei, welche Maßnahmen sind erforderlich? Und welche Kräfte und Mittel stehen mir zur Verfügung? Ich folgere Prüffragen, die ich im Laufe des Prozesses beantworten muss und stelle verschiedene Möglichkeiten für einen groben Ablauf sowie eine Lehrskizze auf.

Entschluss: ich formuliere meinen Entschluss in Form des Grobablaufs und dem Entwurf der Lehrskizze mit Maßnahmen, die im weiteren Verlauf zu erledigen sind.

Befehlsgebung: zum Einen lege ich - wenn erforderlich - der Ortsgruppenleitung die Entwürfe vor, zum Anderen verteile ich die ersten Aufträge und erledige Aufgaben.

Kontrolle: die Aufträge kontrolliere ich natürlich und ich beginne den Prozess aufs Neue, indem ich tiefer ins Detail gehe, weitere Aufträge verteile und nach und nach all meine Prüffragen beantworte, sodass die Übung schlussendlich steht.


Natürlich war das nur ein grober Abriss eines wesentlich komplexeren Vorgangs. Aber darauf läuft es im Endeffekt hinaus, wenn Ihr das Konzept verinnerlicht habt.


Fazit

Der Führungsvorgang ist also nicht nur ein Prozess zum Abarbeiten von Einsatzszenarios, sondern eine grundlegende Herangehensweise, um jegliche Art von Problemen zu lösen. Das Trichterprinzip – viel Input und nur der folgerichtige Entschluss als Output – stellt sicher, dass die Leitungs- und Führungskraft an möglichst alles denkt, während sie sich alltäglichen und besonderen Herausforderungen stellt. Aber nur wer das Grundprinzip verstanden hat, kann es einerseits anwenden, andererseits jungen Führungskräften vermitteln. Für alle jene, welche sich beidem annehmen möchten, habe ich wieder eine Kleinigkeit: unter folgendem Link könnt Ihr sowohl den ganzen Prozess, als auch die einzelnen Schritte als PDF herunterladen. Die Grafiken basieren auf der Vorlage der SKK, sind in Farbe und schwarzweiß enthalten und können zum Beispiel als Plakat gedruckt werden.



In den nächsten Wochen folgen Beiträge, welche jede Stufe des Führungsvorgangs genauer behandeln und Tipps und Tricks für die Anwendung enthalten.

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